Verprügelt, eingekesselt – das Leiden der Schiedsrichter

von Stephan Timm

Die Unparteiischen in Hamburg brauchen mehr Schutz

Ein Bericht von Mirko Schneider

Szenen aus dem Hamburger Amateurfußball: In der Oberliga Hamburg erzielt der VfL Pinneberg in der 90. Minute das 3:2 gegen den Buxtehuder SV. Abseitsverdächtig. Buxtehuder Spieler bedrängen Schiedsrichter Benjamin Stello (SC Egenbüttel), ein BSV-Verantwortlicher spuckt vor dem Gespann aus. In der Bezirksliga Süd trennen sich Altenwerder und der SV Wilhelmsburg sich 2:2. Kein friedliches Remis. Zwei Wilhelmsburger Spieler fliegen vom Platz, Altenwerder beklagt einen nicht gegebenen Strafstoß. Der Unparteiische Stephan Prado Munoz (HSV) muss sich den Weg in die Kabine freikämpfen. Ohne schützenden Ordner. In der Landesliga Hansa wird Schiedsrichter Mike Franke (SC Schwarzenbek) im Anschluss an das 2:1 des Bramfelder SV gegen Dersimspor von einem Gästefan ins Krankenhaus geprügelt (Abendblatt berichtete). Franke hat eine Woche nach dem Vorfall immer noch Schmerzen im Gesicht und ein Flackern im Auge. Eine Schädigung der Netzhaut ist nicht auszuschließen. Schließlich B-Junioren-Landesliga: Den Treffer zum 7:5 für Victoria II halten die Eidelstedter Spieler für irregulär. Sie kesseln den Schiedsrichter ein, fassen ihn an. Der 15-jährige will vorerst keine Spiele mehr leiten.

Schiedsrichter klagen über mangelnden Respekt von Verantwortlichen und Fans

Sechs Tage, vier Vorfälle. Die Referees im Hamburger Amateurfußball sind zurzeit mehr als gebeutelt.

"Der Respekt uns gegenüber geht immer mehr verloren. Klar machen wir auch Fehler, aber wir geben unser Bestes. Wie alle anderen, ob Vereinsverantwortliche oder Fans, haben auch wir es verdient, vernünftig behandelt zu werden", sagt Schiedsrichter Stello. Hamburgs zweimaliger Schiedsrichter des Jahres Ralph Vollmers (SV Börnsen) äußerte sich auf Facebook entsetzt über den Angriff auf Mike Franke. "Wir sind kein Freiwild!", stellte Vollmers klar. Doch bei Worten soll es nicht bleiben. "Für den 21. September planen die Schiedsrichter eine sehr sinnvolle gemeinsame Aktion", blickt Wilfred Diekert, Boss des Verbandsschiedsrichter-Ausschusses (VSA), voraus. Sie soll im Rahmen der turnusmäßigen vom VSA angebotenen Regelkunde für Journalisten durchgeführt werden.

Verändert hat sich statistisch allerdings nicht die Quantität der schweren Angriffe auf Schiedsrichter – sondern die Qualität. Über die Spielberichte im dfb.net werden "besondere Vorkommnisse" erfasst, definiert als Gewalthandlungen abseits des Balls (also brutale körperliche Attacken) oder massive Diskriminierung als Verstoß gegen die Menschenwürde (z.B. rassistische oder sexistische Äußerungen). "Die Größenordnung dieser Fälle hat sich seit Jahren nicht verändert. Es sind zwischen 50 und 60 im Jahr", sagt Karsten Marschner, Geschäftsführer des Hamburger Fußball-Verbandes (HFV). "Dafür sind die Vorkommnisse massiver als früher. War früher Schluss, wenn jemand auf dem Boden lag, ist es das heute nicht mehr." Darüber hinaus existiert eine interessante Dunkelziffer. Viele Schiedsrichter geben in Gesprächen an, Phänomene wie Rudelbildungen, Schubsereien und Pöbeleien hätten massiv zugenommen. Nur werden diese Fälle statistisch nicht erfasst.

Die bisherige Maximalsperre für Gewalttäter beträgt fünf Jahre

Da "jeder Vorfall einer zu viel ist" (Diekert) stellt sich nun die Frage, wie Unparteiische besser geschützt werden können. Vollmers forderte in seinem jüngst erschienenen Buch "eine lebenslange Sperre für Gewalttäter. Das ist alternativlos". Diekert sieht das kritisch. Lebenslange Strafen würden längst nicht alle Spieler abschrecken, Fans schon gar nicht. Die bisherige Maximalstrafe für einen Gewalttäter im HFV beträgt fünf Jahre. Der Verband selbst tut etwas für seine Frauen und Männer an der Pfeife. Die "Coolness Days" für Gewalttäter sind statistisch gesehen ein Erfolg. Die Zahl der Wiederholungstäter nahm in den letzten Jahren ab. Ein Interventionsteam des HFV besucht Mannschaften, in denen gewalttätige Ausschreitungen vorkamen. Die Idee, prominente Oberliga- und Landesligaspieler mit Zustimmung der Teams testweise Spiele in der Kreisliga und Kreisklasse pfeifen zu lassen, ist schon lange im Umlauf.

Wie eine einfache und wenig populistische Lösung aussehen könnte, demonstrierte der Buxtehuder SV. Ein Verantwortlicher polemisierte im Internet nach dem 2:3 in Pinneberg gegen Schiedsrichter Stello. Wenig später entlasteten die Bilder von Elbkick.TV den Schiedsrichter. Das Pinneberger 3:2 war absolut regulär. Kommentar des Kritikers: "Ich werde so schnell nicht wieder ungeprüfte Thesen loslassen." Schön wär`s.

Schiedsrichter als Opfer

Ein Kommentar von Peter Wenig

Ihr Job ist so schlecht bezahlt, dass sich jede Diskussion um einen Mindestlohn erübrigt. Für ein paar Euro pfeifen jedes Wochenende in Deutschland 75.000 Schiedsrichter auf ihre Freizeit, damit jährlich 1,5 Millionen Fußballspiele im Amateur- und Jugendbereich stattfinden können. Wer unseren Bericht auf Seite 37 liest, kann kaum glauben, dass dies noch lange so bleiben wird. Bei einem Landesligaspiel wurde ein Schiedsrichter am vergangenen Wochenende so schwer verprügelt, dass er nun um seine Sehkraft bangen muss.

Der Vorfall in Bramfeld ist mitnichten ein Einzelfall. Laut Hamburger Fußballverband ist die Gewalt gegen Schiedsrichter in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen, von den alltäglichen Beleidigungen ganz zu schweigen. Dass der Verband nun versucht, mit härteren Strafen und Anti-Gewalttrainings gegenzusteuern, ist lobenswert.

Dies alles wird allerdings nicht reichen, wenn nicht endlich ein Umdenken an der Basis stattfindet. Wer regelmäßig Jugendspiele besucht, kann mitunter die Hoffnung auf den gelebten Fairnessgedanken im Fußball verlieren. Bei Vätern, die am Spielfeldrand lauthals gegen Schiedsrichter pöbeln, bei Trainern, die jeden Respekt vor Unparteiischen vermissen lassen. Angesichts solcher Vorbilder ist es kein Wunder, dass – wie bei den B-Junioren geschehen – ein Schiedsrichter von jugendlichen Kickern so bedroht wird, dass er nun nicht mehr pfeifen mag. Auch im Fußball fängt Gewalt im Kleinen an. Wer diesen wunderbaren Sport liebt, darf das nicht dulden.

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